Ein genialer Trick soll in Zukunft Menschen mit Phantomschmerzen von ihrem Leiden befreien: Mit Hilfe einer Spiegeltherapie lässt sich die Reaktion des Gehirns auf Amputationen überlisten - der Schmerz bleibt aus.
Was wie eine Folge aus Hollywoods Science-Fiction Produktionen klingt, gelang Medizinern des RUB-Klinikums Bergmannsheil. Das Team um Christoph Maier von der Abteilung für Schmerztherapie entwickelte gemeinsam mit der Ergotherapeutin Susanne Glaudo vom Rehazentrum Bergmannsheil zwei spezielle Trainingsgeräte, die das einzigartige Training vor dem Spiegel ermöglichen. Tatsächlich bietet die so genannte Spiegeltherapie eine Alternative zu herkömmlichen, vorwiegend medikamentösen Verfahren zur Behandlung von Phantomschmerzen.
Ohne Therapie setzt bei rund drei Viertel aller Amputierten ein unsäglicher Effekt ein: Weil im Gehirn eine Art Abbild des ganzen Körpers existiert, in dem die Empfindungen aus den jeweiligen Körperteilen verarbeitet werden, reagiert das neuronale Netzwerk nach einer Amputation auf die fehlenden Eingangssignale des entfernten Gliedmaßes durch "Ersatzinformationen" - die der Patient als Phantomschmerzen wahrnimmt. Genau diesen Effekt scheint die jetzt entwickelte Spiegeltherapie zu unterbinden.
"Wenn sich der Patient so vor einem Spiegel platziert, dass für ihn die gesunde Extremität im Spiegel genau so aussieht wie die fehlende, ersetzt der Input über die Augen zum Teil die fehlenden Eingangssignale aus dem amputierten Arm oder Bein", erklärt Maier, und: "Der Schmerz als Ersatzinformation wird dadurch überflüssig."
2 Trainingsgeräte sollen in Zukunft die Therapie erleichtern
Ein aufrecht aufgestellter Spiegel vermittelt dabei die wichtige optische Täuschung. Mitgelieferte Steckspiele oder Sand und Erbsen generieren in den vorhandenen Gliedmaßen die taktilen Reize - und lösen beim Betrachten des Spiegelbildes auf diese Weise die erhofften Simulationen im Gehirn aus. Wie die Mediziner nun herausfanden, lässt sich der therapeutische Effekt sogar verstärken, wenn der Patient beispielsweise mit der gesunden Hand, die er nur im Spiegel betrachtet, Geschicklichkeitsübungen macht. Selbst das bloße Ansehen der Hand im Spiegel bei gleichzeitiger Berührung mit einer Bürste oder einem Igelball reicht dann aus, um den Phantomschmerz auszuschalten. Denn die positiven und angenehmen Empfindungen des noch vorhandenen Gliedmaßes spüren die Patienten erstaunlicher Weise auch im Phantom. Schon eine halbe Stunde Training führte auf diese Weise zu mehreren Stunden Schmerzfreiheit, wie Susanne Glaudo erklärt. Allerdings stellt sich dieser Effekt nicht sofort ein. Regelmäßiges und konstantes Training sind ausschlaggebend für den Erfolg der Therapie. Und: Je eher die Spiegeltherapie nach der Operation beginnt, desto besser sind auch die Erfolgsaussichten. Wie genau die Spiegelbilder nach dem Eintreffen ins Gehirn zu den therapeutischen Effekten führen, ist zwar bislang noch ungeklärt. Doch auf der Suche nach den genauen neurologischen Mechanismen rund um das Phänomen Phantomschmerz gibt es Fortschritte. So gelang es etwa, mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) schmerzhafte Reize in verschiedene Areale des Gehirns zu visualisieren. Die Aufnahmen zeigten, dass eine bestimmte Gruppe von Nervenzellen bewertet, ob ein Signal die jeweilige Schmerzschwelle überschreitet. Eine zweite Gruppe von Neuronen ist hingegen für die Verarbeitung der Schmerzintensität, eine dritte Gruppe schließlich für die emotionale Komponente des Schmerzes zuständig.
Spiegel gegen die Schmerz-Spiegelung
Untersuchungen von Wissenschaftlern aus Tübingen und Bochum mit anderen bildgebenden Verfahren zeigten zudem, dass Phantomschmerzen die bereits erwähnte "Spiegelung" des betroffenen Körperteils in der Großhirnrinde verändern. Offenbar greift die mit dem Trainingsgerät durchgeführte Spiegelung des fehlenden Körperteils in genau diesen Mechanismus ein. Noch ist das Modellprojekt bundesweit einmalig, ein flächendeckendes Angebot existiert nicht. Doch immerhin: Phantomschmerzpatienten des Klinikums Bergmannsheil bekommen das Trainingsgerät für sechs Monate leihweise mit nach Hause. Bislang hat Susanne Glaudo 15 Patienten mit der Methode behandelt; nur bei einem von ihnen zeigte sich keine Wirkung. Nun sollen klinische Tests zeigen, ob die spektakulären Ergebnisse auch bei größeren Probandenkohorten greifen. Gelingt die Etablierung des Verfahren, könnten die therapeutischen Spiegel zu einem festen Bestandteil der Rehabilitationsmedizin werden: Neben Phantomschmerzen lassen sich mittels Spiegeltherapie auch Lähmungen und Wahrnehmungsstörungen behandeln, die durch Schlaganfälle oder Nervenschäden hervorgerufen wurden.