Erhalten tausende Patienten auf Intensivstationen jedes Jahr umsonst einen Pulmonalarterienkatheter? Eine neue Studie legt das nahe: Das Werkzeug, mit dem Ärzte die Hämodynamik abschätzen, verursacht vor allem eins: Komplikationen.
Wenn ein junger Assistent auf einer internistischen Intensivstation zum ersten Mal selbständig einen Pulmonalarterienkatheter legen darf, dann hat das Züge eines Initiationsritus. Der "PAC", wie er in Anlehnung an den angloamerikanischen Sprachgebrauch auch genannt wird, ist die Gesellenprüfung des Rotanten. Wer ihn beherrscht, darf in den Schichtdienst. Dabei war der PAC nie unumstritten. Schon häufiger wurde in mehr oder weniger gut gemachten Studien sein Nutzen zumindest in Frage gestellt. Die bisher aufwändigste Studie ihrer Art, die Fluid and Catheter Treatment Trial (FACTT), gibt den Kritikern der Methode jetzt erneut Recht.
Wenn überhaupt, dann fuhren Patienten ohne PAC besser
"Obwohl sehr viele schwer kranke Menschen einen PAC bekommen, konnte bisher kein klarer Nutzen dieser Maßnahme belegt werden", so die Autoren von der in der Intensivmedizin sehr aktiven Studiengruppe ARDS Clinical Trials Network. Das akute Lungenversagen der Erwachsenen (ARDS) mit drohender oder bestehender künstlicher Beatmung ist eine der klinischen Konstellationen, bei der der Einsatz eines PAC üblicherweise erwogen wird. Ein Pulmonalarterienkatheter dient dazu, Informationen über die hämodynamischen Verhältnisse im kleinen Kreislauf zu sammeln. Er liefert dem Arzt unter anderem den pulmonalarteriellen Verschlussdruck und den Herzindex. Anhand dieser und anderer Informationen kann dann sicherer entschieden werden, ob ein Patient Volumen oder Diuretika benötigt oder ob Katecholamine angebracht sind. Das zumindest ist die Theorie.
In der Praxis hat sich dieser unterstellte Vorteil jetzt eindeutig nicht bestätigt, wie das ARDS-Netzwerk im New England Journal of Medicine berichtet. Anhand einer Gruppe von immerhin tausend Patienten mit akutem Lungenversagen konnten die Ärzte zeigen, dass die Patienten, die zusätzlich einen PAC erhalten, nicht besser fahren als jene, bei denen die Therapieentscheidungen anhand des zentralen Venendrucks alleine getroffen werden, gemessen mit einem herkömmlichen zentralen Venenkatheter (ZVK). Es handelte sich um ein randomisiert-kontrolliertes, natürlich nicht verblindetes Multicenter-Studiendesign mit der 60-Tage-Mortalität als primärem Endpunkt. Beide Gruppen unterschieden sich nicht bezüglich der Art der Grunderkrankungen und der Genese des Lungenproblems. Bei der Hälfte lag eine Lungenentzündung zu Grunde, bei einem Viertel eine schwere Sepsis und je bei einem Siebtel eine Aspiration. Entscheidend sind die Daten zur Sterblichkeit: "Die Mortalität in den ersten sechzig Tagen nach der Randomisierung lag bei 26,3 Prozent in der ZVK-Gruppe und bei 27,4 Prozent in der PAC-Gruppe", so die Autoren. Auch die Zahl der Tage, an denen die Patienten innerhalb der ersten vier Wochen nach Randomisierung nicht beatmungspflichtig waren beziehungsweise die sie nicht auf der Intensivstation verbrachten, war jeweils identisch. Und selbst jenes schwer kranke Drittel der Patienten, das bei Aufnahme in die Studie im Schock war, hatte keinen Nutzen vom PAC-Einsatz. Ebenfalls keinen Unterschied gab es bei der Häufigkeit von Organversagen.
Ein paar Patienten bleiben noch als mögliche PAC-Kandidaten
Wenig überraschend gab es in der PAC-Gruppe, in der gemäß Studienprotokoll mehr Katheter eingesetzt wurden, auch mehr Komplikationen. Insgesamt wurden bei einhundert Patienten Probleme berichtet, die direkt auf den Katheter zurück zu führen waren, gegenüber 41 in der ZVK-Gruppe. Der Unterschied kam im Wesentlichen durch Herzrhythmusstörungen zustande. Die Komplikationen "pro Katheter" waren ähnlich. Katheterbedingte Todesfälle gab es in beiden Gruppen nicht.
Ist der PAC damit am Ende? Ganz so weit wollen die Autoren dann doch nicht gehen. So wurden in der Studie keine Patienten mit Herzinsuffizienz, mit schweren Grunderkrankungen der Lunge und keine Dialyse-Patienten zugelassen. Für diese Gruppen lassen sich die Ergebnisse demnach nicht übertragen. Das ARDS-Netzwerk macht allerdings darauf aufmerksam, dass es seit vergangenem Jahr mit der ESCAPE-Studie eine randomisiert-kontrollierte Studie bei immerhin 433 Patienten mit Herzinsuffizienz gibt, in der ebenfalls kein Nutzen des PAC gezeigt werden konnte. Auch Professor Deborah Shure von der Universität Texas, die die Studie im New England Journal kommentiert, ist der Auffassung, dass Patienten mit ARDS und Herzinsuffizienz nicht mehr routinemäßig einen PAC erhalten sollten. Bei Dialysepatienten und chronisch Lungenkranken setzt sie ein Fragezeichen. "Die Geschichte des Pulmonalarterienkatheters illustriert sehr schön, wie Ärzte neue Techniken oft unkritisch akzeptieren", so Shure. Vielleicht, so überlegt sie, wäre der moderne PAC von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA gar nicht zugelassen worden, wenn er nicht zufällig eingeführt worden wäre sechs Jahre bevor die FDA im Jahr 1976 begann, auch Medizinprodukte kritischer unter die Lupe zu nehmen.