Ganz anders als bei ihrer Entwicklung programmiert, benehmen sich manche Rekruten der menschlichen Immunabwehr, wenn ihnen Tumorzellen direkt gegenüberstehen. Anstatt dem wuchernden Gewebe den Garaus zu machen, steigern sie dessen Aggressivität und helfen ihm, sich weiter auszubreiten.
Normalerweise ist der Auftrag für Makrophagen im Immunsystem klardefiniert: Aufspüren und Vernichten von Bakterien, Viren, Protozoen,aber auch Krebszellen. Dass letztere es schaffen, die natürlicheBestimmung umzuprogrammieren, konnte das Team um Claudia Binder von derHämatologie und Onkologie an der Universität Göttingen zeigen. Bereitsin früheren Versuchen hatten die Forscher entdeckt, dass dieInvasivität von Brustkrebszellen anstieg, wenn sie in der Kulturschalezusammen mit Makrophagen gezüchtet wurden. Die Tumorzellen nützen dabeianscheinend die proteolytischen Fähigkeiten der Wächter. DieMakrophagen setzen beim Kontakt mit den transformierten ZellenMatrix-Metalloproteasen (MMP) frei, die das Bindegewebe in der Umgebungschwächen.
Schlüsselrolle für Wnt
Mit den aktuellen Experimenten, die die Göttinger Hämatologen imamerikanischen Fachmagazin "Proceedings of the National Academy ofSciences" (PNAS) veröffentlichten, zeigen sie den Weg auf, über den dieKrebszellen in die Steuerung ihrer Gegner eingreifen. Wiederum ließen siedabei humane Brustkrebs-Zelllinien zusammen mit Makrophagen imKulturgefäß aufeinandertreffen. Durch geeignete Inhibitoren zeigte dasTeam, dass bei den Immunzellen Moleküle aktiviert werden, die besondersbei der Signalübertragung in den Zellkern eine Schlüsselrolle spielen.
Diese so genannte Wnt-Familie spielt bei Vorgängen der Zelle eineRolle, die mit der Entwicklung, dem Überleben, der Gewebebildung, aberauch der Beweglichkeit zu tun haben. Das Wnt-Glycoprotein dockt dazu aneinen Rezeptor in der Zellmembran an. Über eine Kettenreaktionführt diese Bindung dann dazu, dass im Zellkern vermehrt Gene abgelesenwerden, die mit der Zellaktivierung zu tun haben. Diese Kaskadeder Signalweiterleitung lässt sich bei allen Mehrzellern nachweisen undspielt demnach eine Schlüsselrolle bei der Reaktion auf Botschaften ausder Umgebung der Zelle. Wnt-Defekte treten bei verschiedenenKrebsarten, aber auch bei Störungen des Knochenaufbaus oder retinalenGefäßleiden auf.
Ein Familienmitglied übernimmt bei dieser Sabotage der Immunabwehr einebesonders wichtige Rolle. Wnt 5a galt bisher als ein Molekül mitüberwiegenden Tumor-Suppressor-Eigenschaften. In ihrem Modell fandendie Göttinger Onkologen jedoch heraus, dass der Faktor nicht nur dazubeiträgt, die Aggressiivität des Tumors zu steigern, sondern dabeisogar die Rolle der Makrophagen komplett übernehmen und sie imReagenzglas ersetzen kann.
Diese in-vitro Befunde spiegeln ziemlich sicher auch die Wirklichkeitan der Tumorfront wider. Verwendeten die Forscher anstatt derZelllinien Gewebeproben von Tumoren und entsprechendenLymphknotenmetastasen, ließ sich Wnt 5a in Makrophagen histologischnachweisen. Besonders klar war dabei die Färbung an der invasivenFront des Tumors.
Abtrünnige Makrophagen zurückgewinnen
Ganz ähnlich Vorgänge spielen sich auch in anderen Krebsarten ab, dennWnt 5a taucht auch bei aggressiven Melanomen auf. Wie wichtig die neuenErgebnisse für das Verständnis der Metastasierung von Krebsgewebe ist,legt Lorenz Trümper dar, Direktor der Abteilung Hämatologie undOnkologie am Bereich Humanmedizin der Universität Göttingen: "Es warseit längerem bekannt, dass Makrophagen in Tumore einwandern. Unklarwar aber, was sie dort tun." Aufbauend auf den Ergebnissen hofft dieGöttinger Arbeitsgruppe, mit neu beantragten Forschungsmitteln dieRolle von Wnt 5a und seinen Verwandten bei der Tumorentwicklung genauerzu studieren und dabei weitere wichtige Faktoren zu entdecken. "Gelingtuns das", so Trümper, "können wir hoffentlich therapeutischeAnsätze entwickeln, mit denen die abtrünnigen Makrophagen wieder zurückin den Dienst des Körpers gestellt werden können."