Auswertungen von Mammographien erweisen sich bislang als Problem: oft treten falsch positive Ergebnisse auf, noch öfter werden erste Anzeichen des Krebses übersehen. Doch damit könnte bald Schluss sein. Eine neue Software vergleicht Aufnahmen mit einer digitalen Bild-Datenbank aus bestehenden Mammographien. Schon bei kleinsten Abweichungen vom "Normzustand" schlägt das System Alarm.
Die Idee, Radiologenmit Hilfe eines "elektronischen Auges" zu versehen, ist nicht neu - undblieb bis jetzt trotz beachtlicher Erfolge unausgereift. Zwar bieten sogenannte CAD-Algorithmen (CAD = Computer Aided Diagnostic Systems) seitgeraumer Zeit die Möglichkeit einer Software-basierten Auswertung. DieSysteme heben dabei jene Bereiche der Brust hervor, die einer genauerenBetrachtung bedürfen. Denn die intelligente Software kann innerhalbweniger Minuten verdächtigen Mikrokalk oder Tumoren erkennen undmarkieren. Nur: lediglich erfahrene Radiologen sind in der Lage, dievom CAD-System markierten Stellen einwandfrei auszuwerten.
Bereits im Jahr 2002 wiesen Forscher am Institut für Diagnostische Radiologieder Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg die Stärke undgleichzeitige Schwäche des konventionellen CAD nach. Dazu werteten sieMammographien von 200 Patientinnen mit histologisch gesicherten, nichttastbaren Knoten, aus. Zunächst wurden die Röntgen-Aufnahmen ohne dieHilfe des CAD-Systems, danach mit dessen Daten ausgewertet und mit derDoppelbefundung durch zwei erfahrene Radiologen verglichen. DieErgebnisse sprachen für sich: Untersucher, die große Erfahrung in derBegutachtung von Mammographienhatten, konnten die vom CAD-System markierten Bereiche häufiger alsTumore erkennen. Gegenüber Auswertungen ohne CAD lag die Erfolgsrateimmerhin um 15 Prozent höher. Weniger geschulte Diagnostiker hingegenhielten viele Markierungen des CAD-Systems auch dann für einen Tumor,wenn gar kein Krebs vorlag. "Manche der unerfahrenen Untersucher habendie Frauen theoretisch kränker gemacht als sie waren. Diese hättenunnötige Biopsien in Kauf nehmen müssen" kommentierte Ende 2002Studienleiter Dr. Ulrike Aichinger die Ergebnisse der Erlanger Studie.
Neue Hoffnung aus den USA
Nun aber scheint diese Hürde endlich überwunden. Ein Forscherteam um Georgia Tourassi am Duke University Medical Centredes Bundesstaates North Carolina rüstete die alt gedienten CAD-Systemeauf - und verpasste ihnen schlichtweg eine neue Intelligenz. Denn dievon Tourassi eingesetzten Algorithmen gehen, anders als ihreherkömmlichen Pendants, einen neuen Weg. Sie vergleichen jedeneinzelnen Pixel der Untersuchungs-Mammographie mit alten, in einerspeziellen Datenbank hinterlegten Bildern. Der Clou: Insgesamt 1406Bilder liefern das überlebenswichtige Vergleichsmaterial. SpezielleGauss-Algorithmen extrahierten daraus insgesamt 9000 mathematischeVerdachtsregionen - jede dieser Datenmenge wurde in 36 typischeKriterien aufgeschlüsselt. Weil die künstliche Intelligenz des CAD diePixel der Patientenaufnahme genau diesen morphologischen "KI-Karten"zuordnet, entfallen in über 90 Prozent der Fälle die gefürchtetenfalsch positiven Ergebnisse.
Taucht nämlich ein Pixel auch nur einmal in den gesunden KI-Musternauf, kann es nach Abgleich mit dem gesamten Bestand kein Indiz füreinen Tumorsein. Entsprechend muss der Algorithmus, um Krebsalarm auszulösen, dieentsprechenden Pixel ausschließlich in den "mathematischenBildregionen" der erkrankten Frauen erkennen.
Zudem ist das System als künstliches neuronales Netzwerk in der Lage, zulernen. Das Expertensystem zieht aus neuen diagnostizierten Krebsfällenbei der Interpretation der nachfolgenden Bilder die richtigen Schlüsse.Auch hier kommt eine mathematische Funktion zu Einsatz. Auf diese Weisehandelt das System nicht anders, als ein erfahrener Radiologe - nurschneller, und deutlich sicherer. Das wiederum, erkannte ForscherinTourassi recht bald, wäre ein Grund zur Besorgnis. Denn die bei jederUntersuchung anwachsende Menge an gespeicherten Daten würde das gesamteKI-System irgendwann zum Erliegen bringen. Daher setzte sie auf eineweitere Raffinesse der Informationstheorie: die Klassifizierung derPixelaufnahmen nach deren Entropie. Darunter versteht man, sehrvereinfacht ausgedrückt, die Unordnung der einzelnen Datenmengen.Lediglich Mammographien mit hoher Entropie behält das KI-System alswichtig in Erinnerung, der Rest fliegt aus dem Gedächtnis raus.Geordnete Systeme besitzen nämlich einen niedrigen Informationsgehalt.
Radiologen freilich müssen angesichts solcher Verfahren nicht vorFurcht erblassen. Denn für den Arzt zählt lediglich die Erfolgsrate derintelligenten Helfer aus dem Computerlabor. Und die spricht für sich:Das KI-System benötigte aus einer Vergleichsdatenbank der University of South Florida, in der 2138 Bilder zur Verfügung standen, lediglich 600 zur Erkennungeines Brustkrebses bei neu untersuchten Patientinnen. Das alles in nurdrei Sekunden.